Die Justiz schlägt abermals zu: Drohende Gefahr für VIO.ME
(das selbstverwaltete Projekt in Thessaloniki)
Die neuesten Entwicklungen
Wieder einmal hat es eine gerichtliche Teilentscheidung gegen VIO.ME gegeben. Seit dem 29. Mai 2017 ist der Konkursverwalter der gegnerischen Partei berechtigt, die Fabrik der früheren VIOME AG zu betreten und alle beweglichen Vermögensgegenstände zu erfassen und ihre Zwangsveräußerung zu betreiben. Doch auf dem Fabrikgelände befinden sich auch die Zweigstelle der Sozialklinik der Solidarität von Thessaloniki und ein Depot mit lebensnotwendigen Bedarfsgüter für Flüchtlinge. Das heißt, der Konkursverwalter wird Zugriff auf Maschinenpark, VIO.ME-Rohstoffe und -Produkte, gespendete Fahrzeuge der Kollegen und Kolleginnen, medizinische Apparate und Geräte, Medikamente, Hilfsgüter für Flüchtlinge haben. Es sei daran erinnert, dass die frühere Fabrik sich auf dem Gelände der Muttergesellschaft befindet, das zur Insolvenzmasse der in Konkurs geratenen Unternehmensgruppe FILKERAM AG gehört. Zwar sind die Kollegen und Kolleginnen von VIO.ME ständig mit gerichtlichen Angriffen und Überrumpelungsaktionen konfrontiert, doch diesmal könnten die Folgen dieser Eilentscheidung dramatische Auswirkungen haben. Auf der Kippe stehen ein seit vier Jahren funktionierende Produktion von ökologischen Reinigungsmitteln in Selbstverwaltung und die Arbeitsplätze der Kolleginnen und Kollegen in einer Zeit der schlimmsten Wirtschaftskrise in Griechenland.
Es ist zu befürchten, dass die Justiz und der Staatsapparat die Zerschlagung der früheren Unternehmensgruppe schrittweise durchsetzen wollen. Nach den Vorgaben der EU sollen die griechischen Behörden die Liquidierung und Abwicklung von Konkursfällen „zügiger“ und „unbürokratischer“ durchpeitschen. Die Interessen der arbeitenden Menschen spielen keine Rolle. Die Justiz zeigt einen Übereifer, wenn es darum geht, VIOME und die anderen Firmen der Muttergesellschaft zu zerschlagen, zeigt aber kaum Interesse an der strafrechtlichen Verfolgung der früheren Eigentümerin, die den Arbeitnehmern Millionen schuldet. Die Regierung auf der anderen Seite unterstützt zwar verbal das Konzept der solidarischen Ökonomie, unternimmt aber überhaupt nichts, um die Zwangsräumung der VIO.ME-Fabrik zu stoppen. Sie tut nichts gegen die Absperrungen der Wasser- und Stromversorgung, denen die Kolleginnen und Kollegen immer wieder ausgesetzt sind.   

Ein kurzer Rückblick
Der Betrieb Viomichaniki Metalleftiki (VIOME AG) in Thessaloniki war eine von drei Firmen
der Unternehmensgruppe FILKERAM & JOHNSON und stellte Kacheln, Bodenbeläge und Spezialdämmplatten für die Wärmeisolierung her. Von 2000 bis 2006 war die Fabrik eine der 20 besten Unternehmen in Nordgriechenland. In diesem Zeitraum hatte sie in Form von Krediten eine Summe in Höhe von ca. 2,7 Mio. EUR an die Muttergesellschaft übertragen – wodurch auch die VIOME AG letzten Endes in die Insolvenz getrieben wurde. Nach 2006 kam es zu ständigen Auseinandersetzungen mit der Geschäftsführung und dem Arbeitgeber. Zulagen wurden gekürzt, bei der Bezahlung der Löhne gab es immer wieder Probleme, die Arbeitsaufsicht musste immer wieder eingeschaltet werden. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen hatten die Kolleginnen und Kollegen der VIOME AG eine Basisgewerkschaft unter dem Namen „SEVIOME“ gegründet. Die Gründung wurde in einem langwierigen, zweijährigen, fast konspirativen Kampf vorbereitet. Seit Mai 2011 hatten die Kolleginnen und Kollegen keine Lohn mehr erhalten. Im Juli 2011 teilte ihnen die Geschäftsführung mit, dass die Fabrik geschlossen wird, ließ aber durchblicken, dass eventuell nach einer Klärung mit der Muttergesellschaft die Arbeit wieder aufgenommen werden sollte. Die Fabrik wurde von heute auf morgen verlassen. Die Geschäftsführung verschwand, ohne den Kolleginnen und Kollegen weitere Erklärungen zu geben und ohne ihnen zu kündigen. Durch diese Situation hatten sie noch nicht einmal einen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Im gleichen Monat hat die Belegschaft die Fabrik besetzt. In drei Schichten haben sie den Betrieb bewacht, um Diebstähle der Lagervorräte, Sabotage oder die Demontage der Anlagen zu verhindern. Inzwischen sind alle drei Firmen der Gruppe „Filkeram Johnson“ insolvent. Der gesamte Komplex ist seit Jahren verlassen und verrottet vor sich hin. Ziemlich früh hatten die Arbeiter einen Plan ausgearbeitet, den Betrieb in Selbstverwaltung und unter Arbeiterregie weiterzuführen. Bis heute haben sie sich an zwei verinnerlichte Grundprinzipien gehalten: Nur die Vollversammlung darf Entscheidungen treffen und es gibt keine Lohndifferenzierung unter den Kolleginnen und Kollegen. Es war ihnen von Anfang klar, dass ein einigermaßen erfolgreicher Kampf um die Legalisierung und Anerkennung ihres Projektes nur dann möglich wäre, wenn sie massiv die Öffentlichkeit und die gesellschaftliche Solidarität für ihre Sache gewinnen könnten. Seitdem haben sie zahlreiche Kampagnen geführt, die Solidarität mit anderen gewerkschaftlichen Strukturen gesucht, das gesamte Spektrum der linken politischen Parteien und Organisationen unermüdlich bearbeitet, haben sich mit anderen Initiativen des gesellschaftlichen Widerstandes in Griechenland vernetzt und konnten kontinuierlich und systematisch ein beachtliches internationales Solidaritätsnetzwerk aufbauen. Seit April 2013 produzieren sie ökologische Seifen und Haushaltsreiniger. Inzwischen ist es ihnen auch gelungen, eine Teillegalisierung als Sozialkooperative mit eigener Steuernummer zu erreichen.
Ein langjähriger Streit mit der Justiz
Im Juli 2011 hatte die FILKERAM-Gruppe alle Geschäftsaktivitäten eingestellt und seitdem forciert die ehemalige Eigentümerin, die Familie Filippou, die Liquidation und Zwangsversteigerung der noch vorhandenen Insolvenzmasse. Seit 6 Jahren gibt es eine unendliche Reihe von Gerichtsterminen, Urteilen und Berufungen. Im Herbst 2015 hatte die Justiz die Eröffnung der Zwangsversteigerung der gesamten Immobilien der Gruppe angeordnet. Die erste Runde der Zwangsliquidation dauerte bis zum Oktober 2016, blieb aber ergebnislos, weil kein Angebot eingereicht wurde. Doch der Konkursverwalter der FILKERAM-Gruppe besteht weiterhin auf der Zerschlagung der FILKERAM AG. Die Entscheidung des Gerichts über eine zweite Runde und einen neuen Versteigerungspreis steht noch aus. In der Zwischenzeit hat aber der Konkursverwalter der VIOME AG (in Zusammenarbeit mit dem Konkursverwalter der FILKERAM) das Zutrittsrecht zum Fabrikgelände der VIOME AG erneut bestätigt bekommen. Auf diesem Weg wird versucht,  die Zwangsveräußerung schrittweise einzuleiten. Aber dennoch handelt es sich hier nicht um eine übliche Konkursabwicklung. Die bisherigen Gerichtsbeschlüsse verschleiern die Parteilichkeit der Justiz. Es gibt eine Fülle von gravierenden Unregelmäßigkeiten, die schwer zu klären sind. Die Grundstücke sind mit Hypotheken belastet. Die Summe der realisierbaren Insolvenzmasse wird kaum ausreichen, um die Gläubiger zu bedienen (Sozialversicherungsträger, Fiskus, ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Banken, Zulieferer). Die Gesamtschulden übersteigen bei weitem die 20-Millionen-Grenze. Die Muttergesellschaft hatte VIOME regelrecht ausgeplündert. FILKERAM schuldet der „Viomichaniki Metalleftiki“ eine Summe in Höhe von ca. 1,9 Mio. Deshalb fordern die Kolleginnen und Kollegen von VIO.ME vor allem die gerichtliche Untersuchung  der Kontobewegungen der Familie Filippou (ehemaligen Eigentümerin) in den letzten 15 Jahren außerhalb der Geschäftsbuchführung der Firmengruppe. Massiv hatte die frühere Arbeitgeberin der gesamten Gruppe Liquidität entzogen und ihre Insolvenz herbeigeführt, 350 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Arbeitslosigkeit und Armut geschickt. Nicht umsonst wurde Frau Filippou zu einer Haftstrafe verurteilt, die sie aber nicht antreten musste. Kurios ist auch die Tatsache, dass mehrere Parzellen dem Unternehmen als Belohnung für die Schaffung von Arbeitsplätzen vom Staat geschenkt wurden.
Die berechtigten Forderungen der VIO.ME
Im Januar dieses Jahres haben die VIO.ME Kolleginnen und Kollegen eine lange Erklärung verbreitet. Der Aufruf hatte das Ziel, die Solidaritätsbewegung und die Öffentlichkeit über die Rechtmäßigkeit ihrer Forderungen zu informieren. Gleichzeitig wurde die Regierung aufgefordert, das Problem der VIO.ME endlich juristisch und politisch zu lösen. Die Kernforderung lautete:Aussonderung der Immobilien bzw. der betreffenden Flurstücke und der Fabrik- und Fertigungsanlagen der Tochtergesellschaft VIOME AG aus der Insolvenzmasse der Unternehmensgruppe „Familie FILIPPOU“ und die Anerkennung des uneingeschränkten Nutzungsrechts der Fabrikanlagen der früheren VIOME AG. Diese Lösung würde den KollegInnen von VIO.ME endlich erlauben, die Aufrechterhaltung der Produktion und der Arbeitsplätze zu sichern. Ihre Argumentation wurde nicht nur politisch, sondern auch juristisch begründet. Die Hauptpunkte ihrer rechtlichen Beweisführung, die ihnen übrigens gut gelingt, sind folgende:
# Sie sind eine rechtmäßige Sozialkooperative mit Steuernummer nach der geltenden Gesetzgebung.
# Die Aussonderung der benannten Flurstücke ist sowohl praktisch als auch juristisch möglich. Eine Abtrennung ihres Projektes von der Gesamtmasse wäre sowohl formal als auch praktisch möglich. Das Betriebsgelände von VIO.ME macht ca. 1/7 des gesamten Grundstücks und der Standort liegt am äußeren Rand, was einer Separation vom Rest der Grundstücke keine Schwierigkeiten bereitet.
# Seit dem Zusammenbruch der Unternehmensgruppe hat es mehrere gerichtliche Entscheidungen gegen die Firmeninhaber gegeben. Ein Mitglied der Familie Filippou wurde sogar mit einer Haftstrafe wegen dieser Affäre belegt.
# Sie beziehen sich auf das Gesetz No. 3691/2008, welches den Behörden das Recht einräumt, im Falle von kriminellen Machenschaften bei der Unternehmensführung präventiv einzugreifen und die Beschlagnahme von Vermögenswerten anzuordnen. Aus diesem Gesetz leiten ihre Rechtsanwälte das Veräußerungsverbot der VIOME-Vermögenswerte ab.
# Schließlich verweisen sie auf folgenden rechtlichen Widerspruch: während ihre umfangreichen Rechtsansprüche aus den noch ungekündigten Arbeitsverhältnissen von der Konkursverwaltung nicht anerkannt werden, sind die Vermögenswerte der VIOME-Tochtergesellschaft Bestandteil der Insolvenzmasse. Daher fordern die VIO.ME-KollegInnen ihre Gleichstellung mit den anderen Insolvenzgläubigern. Die Unternehmensgruppe FILLIPPOU umfasste die Muttergesellschaft FILKERAM und die Tochtergesellschaften IPPOKAMPOS und VIOME. Alle drei Firmen hatten das gleiche Mangement und die gleichen Leitungsorgane und waren verbundene Unternehmen.
# Die Sozialkooperative VIO.ME verlangt nicht nur die Aussonderung der betreffenden Flurstücke, sondern auch das uneingeschränkte Nutzungsrecht der Fabrik ohne jegliche finanziellen Ansprüche an sie.
Zum einen ist die rechtspolitische Argumentation in sich schlüssig und beweiskräftig, zum anderen wird die Notwendigkeit einer politischen Lösung hervorgehoben. Hatte doch die SYRIZA-Führung den KollegenInnen immer wieder versprochen, eine Lösungsformel vor einem Gerichtsurteil zu finden.
Das Phänomen VIO.ME in der krisengeschüttelten Gesellschaft Griechenlands
VIO.ME ist mehr als eine seit Jahren besetzte und selbstverwaltete Fabrik. Sie ist inzwischen ein Paradebeispiel für sozialen Widerstand und Selbstorganisierung. Gleichzeitig ist sie ein Ort der politischen Kultur im wahrsten Sinne des Wortes. Seit einigen Monaten betreiben sie eine Leihbücherei und führen politische Weiterbildungsseminare durch. Immer wieder organisieren sie theateraufführungen mit anschließenden Diskussionen. Sie unterhalten seit zwei Jahren ein Depot zur Verteilung von Hilfsgütern an Flüchtlinge. Diese Sammelstelle hat eine klare Signalwirkung, denn sie ist eine eindeutige und entschiedene Absage an jede Form von Rassismus und Chauvinismus. Ihre Anziehungskraft erklärt sich dadurch, dass sie aktiv den gewerkschaftlichen und sozialen Widerstand  unterstützen: betriebliche Abwehrkämpfe, Kampagne gegen die Sonntagsarbeit, Kampf gegen den Goldabbau auf Chalkidiki, Demonstrationen und Kundgebungen gegen Rassismus, Widerstand gegen die Zwangsräumung von besetzten Flüchtlingsheimen und gegen die Zwangsversteigerung von Erstwohnungen aufgrund von Zahlungsunfähigkeit.   
Eine neue Widerstandskampagne ist angesagt
Wieder einmal ist VIO.ME auf eine massive moralische Unterstützung und Solidaritätsbekundung angewiesen. Sie haben keine andere Wahl, sie müssen an die Öffentlichkeit treten. Neben den vielen Aktionen, die sie zur Zeit vorbereiten, steht  eine große Internetpetition bzw. Protesterklärung im Mittelpunkt. Der Petitionstext wird bewußt kurz gehalten, dafür soll die Masse der Unterstützer, gegebenfalls ihre Funktion oder die dahinterstehende Organisation das Schwergewicht des Protestes sein. Vor allem die internationale Solidarität ist für sie extrem wichtig. Über den Stand der Petition werden sie täglich auf ihrer Website berichten. Veröffentlichen werden sie ebenfalls Protesterklärungen von anderen Betrieben, Gewerkschaften sowie  sozialen und politischen Organisationen. Mehrere fortschrittliche und kritische Internetmedien werden ihre Kampagne bekanntmachen, begleiten und unterstützen. Der Petitionsaufruf wird in mehrere Sprachen übersetzt. Mit dieser Kampagne wollen sie medienwirkxsam die gesamte Regierung, die Justiz und SYRIZA (vor allem ihren linken Flügel) mit ihrer Forderung nach einer politischen Lösung massiv konfrontieren.
GSKK wird auch diese Kampagne aktiv unterstützen   
Wir rufen nun auf zur Solidarität mit der Erklärung der VIO.ME-Kollegen und zum Einstehen für ihre Forderungen, damit sie sich in der jetzigen bedrohlichen Situation auf die internationale Solidarität stützen und Druck auf die Parlamentsfraktion von Syriza und die Regierung ausüben können. Wir brauchen unbedingt noch jede Menge Unterschriften für VIO.ME – die Zwangsräumung steht bevor.
Juni 2017

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